Rollout moderner Messeinrichtungen, fehlende Smart-Meter-Gateways und Messfehler elektronischer Stromzähler
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Louis-F. Stahl -
6. Juni 2019 um 08:39 -
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Bereits zum 4. August 2011 hatte der Gesetzgeber mit einer Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) erstmals die Installation von damals noch schlicht als „Messsystem“ bezeichneten Smart-Metern vorgesehen, die bereits gut zwei Jahre zuvor durch das Forum Netztechnik/Netzbetrieb im VDE (FNN) spezifiziert wurden. Doch die enorm anspruchsvolle Sicherheitszertifizierung der smarten "EDL40" Zähler zog sich über Jahre hin. So lange, dass der Gesetzgeber den rechtlichen Rahmen mehrfach änderte und schließlich in ein eigenes Messstellenbetriebsgesetz (MsbG) auslagerte. Inzwischen spricht der Gesetzgeber nicht mehr von „Messsystemen“, sondern sogar von "intelligenten Messsystemen" – gleichwohl die damit gemeinten Zähler weder „smart“ noch „intelligent“ sind, sondern schlicht online über das Internet ausgelesen werden können.
Die letzte Hürde fällt
Am 12. Dezember 2018 ist es nach jahrelangen Tests und immer neuen Nachweisen der Power Plus Communications (PPC) als erstem Hersteller von Smart-Meter-Gateways gelungen, eine Zertifizierung für sein Produkt vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zu erhalten. Nur sieben Tage später hat der Netzbetreiber und Messstellenbetreiber Netze BW im baden-württembergischen Reichenbach an der Fils das erste „intelligente Messsystem“ mit zertifiziertem Smart-Meter-Gateway in einem Privathaushalt installiert. Die Netze BW installieren die Gateways seitdem bei Kunden, die sich freiwillig ein Messsystem installieren lassen möchten.
Zwangsweise Installation
Der eigentliche „Rollout“, daher eine zwangsweise Installation von Smart-Meter-Gateways bei Stromverbrauchern mit einem Strombezug ab 10.000 kWh sowie bei Stromerzeugern mit Erzeugungsanlagen ab 7 kW Leistung und schaltbaren Verbrauchern wie Stromheizungen, wird hingegen erst dann beginnen, wenn die Smart-Meter-Gateways von mindestens drei Herstellern unabhängig voneinander durch das BSI zertifiziert wurden. Acht solche Zertifizierungsverfahren sind derzeit beim BSI anhängig und mit EMH Metering sowie Sagemcom haben zwei Hersteller bekannt gegeben, in den kommenden Wochen mit dem Erhalt der Zertifizierung zu rechnen. Vier weitere Hersteller befinden sich ebenfalls auf der Zielgeraden der Zertifizierung und haben angegeben, das Zertifikat noch in diesem Jahr erlangen zu wollen. Damit steht nach Jahren der bloßen Ankündigungen der zwangsweise Rollout von intelligenten Messsystemen jetzt unmittelbar bevor. Zum Jahr 2020 wird die Schwelle der vom zwangsweisen Rollout betroffenen Verbraucher dann auch noch von 10.000 kWh auf 6.000 kWh abgesenkt.
Moderne Messeinrichtungen
Vom Rollout intelligenter Messsysteme ist die bloße Installation „moderner Messeinrichtungen“ zu unterscheiden. Dabei handelt es sich um ganz normale Offline-Stromzähler, die lediglich für einen optionalen späteren Anschluss an ein Smart-Meter-Gateway vorbereitet sind und bereits seit einigen Jahren bei Verbrauchern installiert werden. Die Ankündigungsschreiben der für den Messstellenbetrieb grundzuständigen lokalen Stromnetzbetreiber sind jedoch leider häufig verwirrend formuliert, sodass Stromkunden und Prosumer fälschlich die zwangsweise Installation eines Smart-Meters befürchten. Hier kann allerdings Entwarnung gegeben werden: Die „modernen“ Stromzähler haben – für sich genommen – lediglich ein etwas umfangreicheres Display und kosten den Verbraucher in aller Regel nicht mehr, als der alte Zähler. Zwar gibt es für die modernen Zähler eine gesetzliche Preisobergrenze von 20 Euro pro Jahr, diesen Preis zahlt jedoch der Energieversorger, von dem der Verbraucher seinen Strom bezieht an den Messstellenbetreiber und nicht der Verbraucher direkt. Anders sieht es für Prosumer aus, die diesen Preis für die Messung der Stromerzeugung oder der Einspeisung direkt an den Messstellenbetreiber zu leisten haben.
Kosten intelligenter Messsysteme
Anders wird es bei dem in Kürze startenden Rollout der intelligenten Messsysteme sein. Hier sieht das Messstellenbetriebsgesetz jährliche Kostenobergrenzen von 100 Euro (Stromerzeuger mit 7 bis 15 kW Erzeugungsleistung und Stromheizungen) über 130 Euro (10.000 bis 20.000 kWh Verbrauch und Stromerzeuger über 15 bis 30 kW) bis hin zu 200 Euro (bis 100.000 kWh Verbrauch und Erzeuger über 30 bis 100 kW) vor. Diese Kosten werden Verbraucher wie auch Prosumer voraussichtlich direkt zu tragen müssen.
Wettbewerbliche Messstellenbetreiber
Verbraucher haben aber auch eine Wahl: Wie den Energieversorger kann man auch den Messstellenbetreiber wechseln. Das Angebot ist bisher jedoch sehr begrenzt. Derzeit gibt es nach Kenntnis der ProsumerNEWS mit dem Unternehmen Discovergy nur einen bundesweit bei Einzelkunden tätig werdenden wettbewerblichen Messstellenbetreiber. Dafür sind dessen Preise für einen smarten Zähler mit aktuell 60 Euro pro Jahr deutlich niedriger als die Preise, die die örtlichen Netzbetreiber nach den gesetzlichen Preisobergrenzen verlangen dürfen. Und Mitglieder im BHKW-Forum e.V. genießen bei Discovergy auch noch einen Rabatt in Höhe von 20 Prozent auf die Jahresrechnungen, wenn sie sich bei Vertragsschluss als solche zu erkennen geben.
Da rollt etwas auf uns zu!
Der Rollout wird jedoch nicht alle Verbraucher und Prosumer sofort treffen. Die Netzbetreiber haben bis zum Ablauf des Jahres 2024 Zeit, den Rollout der Messsysteme über die Bühne zu bringen. Wenn man bedenkt, wie viele Millionen betroffene Anschlüsse mit einem Verbrauch größer 6.000 kWh, mit einer Stromerzeugungsanlage ab 7 kW Leistung oder mit einer Stromheizung deutschlandweit auszustatten sind, wird schnell klar, dass der Rollout auch seine Jahre brauchen wird. Wenn allerdings das Ankündigungsschreiben des lokalen Netzbetreibers kommt, haben Verbraucher nur eine gesetzliche Frist von drei Monaten, um zu einem wettbewerblichen Messstellenbetreiber zu wechseln. Um die Installation eines Messsystems selbst wird man hingegen nicht umhinkommen.
Messfehler älterer elektronischer Stromzähler
Der Einbau "moderner Messeinrichtungen", ob mit oder ohne Smart-Meter-Gateway, hat auch eine positive Seite. Denn eine niederländische Studie hat gezeigt, dass einige elektronische Stromzähler bis zu 586 Prozent zu viel messen. Bis zu sechs Millionen Stromzähler in Deutschland könnten von diesem Fehler betroffen sein. Dabei sollten moderne digitale Stromzähler eigentlich genauer messen, als die bisher gebräuchlichen mechanischen Ferraris-Zähler mit Drehscheibe und Rollenzählwerk. Dass dies nicht unbedingt so sein muss, zeigten bereits in den Jahren 2007 bis 2010 massenhaft fehlerhafte Messungen der Erträge von Photovoltaikanlagen. Die damaligen Messfehler traten aufgrund nicht sinusförmiger Ströme mit hochfrequenten Impulsen einiger Wechselrichter auf, die man bei den Prüfnormen für elektronische Zähler schlicht nicht bedacht hatte. Die Normen wurden 2011 schließlich korrigiert. Die Funde der Universität Twente und der Hochschule für angewandte Wissenschaften Amsterdam aus den Jahren 2015 und 2016 traten jedoch nicht bei PV-Anlagen, sondern bei der Messung von Stromverbräuchen auf. In den Tests der Forscher zeigte sich, dass Stromzähler mit Hallsensoren bis zu 46 Prozent zu wenig Strom messen können und Zähler mit Rogowskispulen bis zu 586 Prozent zu viel Verbrauch anzeigen können. Während für Verbraucher eine Messung von zu wenig Strom günstig ist, dürften sich Prosumer bei der Messung der Einspeisung über ein solches Modell nicht freuen – umgekehrt dürfte Prosumer eine zu viel messende Einspeisemessung im Gegensatz zu einer zu viel messenden Verbrauchsmessung freuen. Grundsätzlich sollten jedoch alle Stromzähler richtig messen und falsch messende Stromzähler konsequent aus dem Verkehr gezogen werden. Prosumer mit potenziell betroffenen Stromzählern sollten bei Zweifeln an der Zuverlässigkeit ihres Stromzählers bei ihrem Messstellenbetreiber – in der Regel der örtliche Stromnetzbetreiber – hartnäckig einen Austausch des Zählers verlangen - idealerweise direkt gegen eine "moderne Messeinrichtung". Sollte der Stromnetzbetreiber dem nicht nachkommen, bleibt Prosumern nur, den Messstellenbetreiber zu wechseln. So bietet beispielsweise der freie Messstellenbetreiber Discovergy Smart-Meter mit Shunt-Messung an, einem als fehlerfreie geltenden Messverfahren.
Welche Zähler sind betroffen?
Ein Messverfahren mit potenziell deutlich zu viel messenden Rogowskispulen kommt nach den ProsumerNEWS vorliegenden Informationen bei den Zählern der Typen MT171, MT174, MT175, MT371, MT372, MT382 und MT681 des Herstellers Iskraemeco (Iskra) sowie den elektronischen Haushaltszählern von Hager zum Einsatz. Mit potenziell zu wenig messenden Hallsensoren sind die älteren elektronischen Haushaltszähler von Landis+Gyr, der ACE3000 von Itron (Actaris) sowie die Modelle MD300 und MT300 von Iskraemeco (Iskra) ausgestattet. Das von den Forschern nicht beanstandete Shunt-Messverfahren kommt bei allen bekannten "modernen Messeinrichtungen" sämtlicher Hersteller sowie auch älteren Zählern von DZG Metering, EasyMeter (Discovergy), EMH Metering, Kamstrup sowie den Modellen ME371, ME372 und ME382 von Iskraemeco (Iskra), dem HZ1-C50D-R1-Z von Itron, dem AS1440 von Elster und dem EC3 von Apator/Pafal zu Anwendung. Alle Informationen sind ohne Gewähr. Sollten Sie über Informationen zu weiteren Zählermodellen verfügen oder sich bei Ihrem Zähler nicht sicher sein, hinterlassen Sie gerne einen Kommentar zu diesem Artikel.
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