Das Scheitern der modernen Atomenergie
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Louis-F. Stahl -
6. Mai 2019 um 08:35 -
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So gab kürzlich der AKW-Hersteller Hitachi bekannt, Planung und Bau von zwei Reaktoren auf dem Gelände des AKW Wylfa in Großbritannien aufgrund steigender Kosten und Differenzen über die Höhe von Subventionen mit der britischen Regierung nicht weiter zu verfolgen. Infolgedessen hat der Hitachi-Konzern auch alle weiteren Planungen für unwirtschaftliche AKW-Neubauten gestoppt und zum 31. März 2019 rund 300 Milliarden Yen (2,4 Milliarden Euro) an vergeblichen Aufwendungen seiner Nuklearsparte abgeschrieben.
Nicht viel besser ergeht es dem französischem AKW-Hersteller Areva, der nach turbulenten Jahren inzwischen zum Orano-Konzern gehört. Die Fertigstellung der Baustelle eines European Pressurized Water Reactors (EPR) im finnischen Olkiluoto ist nach einer Reihe von Pleiten, Pech und Pannen inzwischen zwar abgeschlossen, mit einer Aufnahme des Leistungsbetriebs wird jedoch erst im kommenden Jahr gerechnet. Mit gut 11 Jahren Verspätung wäre das von Baumängeln wie minderwertigem Beton im Sicherheitsbereich geplante Projekt dann zwar noch vor dem Flughafen "BER" fertig – aber der hat auch erst gut 7 Jahre Verspätung. Mit Blick auf die Kosten haben sich der finnische Atomstromkonzern TVO und der Atomkonzern Areva nach jahrelangem Streit inzwischen hinter verschlossenen Türen geeinigt. Den letzten bekannten Zahlen zu Folge, soll das neue Atomkraftwerk schlüsselfertig statt 3,3 Milliarden Euro rund 8,5 Milliarden Euro kosten. Den Großteil der Mehrkosten soll dem Vernehmen nach von Areva getragen werden. Darüber hinaus muss Areva 450 Millionen Euro Entschädigung an TVO für die verspätete Fertigstellung zahlen.
Doch auch im französischen Flamanville verzögert sich die Fertigstellung eines Areva-EPR und wird jetzt nicht mehr für dieses Jahr, sondern im kommenden Jahr erwartet. Die Kosten dieses Bauvorhabens sind von einstmals veranschlagten 4 Milliarden Euro auf inzwischen 10,9 Milliarden Euro explodiert. Auch diese Kostensteigerung muss der AKW-Hersteller zu einem großen Teil selbst tragen und wäre daran beinahe zu Grunde gegangen. So erging es bereits dem eigentlich für seine Elektronikprodukte bekannten Toshiba-Konzern, der seit 2017 aufgrund der Verluste seiner Nuklearsparte (ehemals "Westinghouse Nuclear") insolvent ist.
Damit angesichts dieses Risikos überhaupt mit dem Bau der zwei weiteren EPR "Hinkley Point C" in Großbritannien im Jahr 2017 begonnen werden konnte, musste die britische Regierung dem künftigen AKW-Betreiber eine staatliche Förderung von umgerechnet rund 10,9 Cent/kWh für jede erzeugte Kilowattstunde plus Inflationsausgleich über 35 Jahre zusagen. Schätzungen taxieren die Gesamtsumme dieser Beihilfe auf 70 bis 110 Milliarden Euro. Ob dabei zumindest dieser EPR-Bau, anders als die beiden Meiler in Flamanville und Olkiluoto, im veranschlagten Budget von rund 19 Milliarden Euro bleibt, darf bezweifelt werden. Aus diesem Grund musste das Vereinigte Königreich unabhängig von der garantierten Stromvergütung für die Kredite zum Bau der Reaktoren eine Bürgschaft über rund 20 Milliarden Euro ausstellen.
Angesichts der Tatsache, dass sich alle vier Bauprojekte für neue Atomkraftwerke in Europa als Milliardengräber für Stromkunden und Steuerzahler erwiesen haben und der Strom aus AKW inzwischen deutlich teurer als Wind-, Sonnen sowie KWK-Strom ist, verwundert es nicht, dass der weltweite Anteil der Kernenergie an der Stromerzeugungsleistung stagniert. Während Photovoltaik und Windenergie weltweit um 35 beziehungsweise 17 Prozent zulegen konnten, stieg die Erzeugungsleistung der Kernenergie im Betrachtungszeitraum einer neuen Studie nur um rund 1 Prozent. Und das obwohl in Russland zwei und in China sieben neue Reaktoren ans Netz gingen. Diese Zahlen gehen aus dem 289 Seiten starken World Nuclear Industry Status Report 2018 (WNISR) hervor.
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