+115 % Un sofortige Trennung, +110 % Un 10-min-Mittelwert)
Un ist doch 230 V, richtig?
Ja, Un steht für die Nennspannung: U ist das Symbol für die Spannung und der Index n wird üblicherweise für Nennwerte benutzt.
230 V mal 115% bzw. 110% bedeutet dann eine Spannungsspitze von 264,5 V bzw. 253 V, die als Signal zum Abschalten von PV- und ggf. auch KWK-Anlagen verwendet werden würde.
Nicht würde, sondern wird. Das ist schon relativ lange gang und gäbe, angefangen mit der
VDE 0126 bis zum Nachfolger VDE-AR-N 4105 sind Werte für den Frequenz- und Spannungsschutz vorgegeben, das war auch die Primärfunktion der VDE 0126 (Einrichtung zur Netzüberwachung mit zugeordneten Schaltorganen). Es war also eine Norm für die engl. Interface Protection, bei der VDE-AR-N 4105 ist das auch drin, aber noch vieles mehr.
Zur Spannung gibt die Schutzfunktionen
U>> schnelle Überspannung
U> Überspannung
U< Unterspannung
U<< schnelle Unterspannung
Es wird noch für Anlagen bis 50 kW und über 50 kW unterschieden, das hängt mit dem UVRT-Anforderungen zusammen, von denen die Mikros (bis 50 kW laut EED Art. 2-39 ) ausgenommen sind.
bis 50 kW: Grenzwert, maximale Zeit zum Trennen
U>> schnelle Überspannung 115 %, 200 ms
U> Überspannung 110 %, 10-Min-Mittelwert
U< Unterspannung 80 %, 200 ms
U<< schnelle Unterspannung entfällt
über 50 kW
U>> schnelle Überspannung 125 %, 200 ms
U> Überspannung 110 %, 10-Min-Mittelwert
U< Unterspannung 80 %, 1 s
U<< schnelle Unterspannung 45 %, 400 ms
So wie ich die Studie lese, kann es sich dabei nicht nur um seltene Notfälle handeln. Immerhin ist von "maximal 5% der Jahresproduktion" die Rede,
Praktischerweise macht man es heute so, dass man die leichter zu abregelnden Anlagen abregelt (auch aus regulatorischer Sicht "leichter", wegen Priorisierung oder auch Abrechnungsaufwand zur Ermittlung der Entschädigung) und die anderen Anlagen daneben in Ruhe lässt. Das wäre auch meine Empfehlung einer Größenstaffelung: das Kleinzeug kann man erstmal in Ruhe lassen, wenn ich mit wenigen Griffen die notwendige Menge mit größeren Anlagen, die auch direkt per SCADA-Box an die Netzleitzentrale angeschlossen sind, reduziert habe.
Aus Laiensicht (bin weder Elektriker noch Elektroniker) frage ich mich da schon, ob die am Netz angeschlossenen Verbraucher (z.B. Unterhaltungs- und Büroelektronik) das auf die Dauer überhaupt aushalten?
Ja. Auslegungsrelevant für Elektronik sind ja nicht nur die langsamen Vorgänge, über die wir uns hier austauschen, welche durch Lastflüsse (Einspeiser + Verbraucher) bedingt werden, sondern auch Schalthandlungen, Kurzschlüsse, Wanderwellen, atmosphärische Störungen = Blitzschlag, etc. Dafür hat sich ehemals CBEMA (Computer & Business Equipment Manufacturer’s Association), heute ITIC (Information Technology Industry Council) eine Robustheitskurve ausgedacht, welche übliche Geräte aushalten sollen. Die 125 % Überspannung im OVRT-Fall kommen da her, dass sowieso schon 115 % zulässig waren (für ein paar Minuten und Sekunden), d.h. Geräte am Netz waren auch darauf ausgelegt, ansonsten haben ihre Herrsteller Kunden verloren, weil diese sich schnell in Elektroschrott wandelten. Dann kam vor ein paar Jahren der Lerneffekt, dass dazu noch ein Hub von rund 10 % drauf kam, wenn bei einer Störungerzeuger abschalteten und dann Lastflüsse im HS / HöS sehr schnell abnahmen. Strom über eine induktive Freileitung zieht die Spannung etwas runter, d.h. plötzlich kleiner Stromflusse lassen die Spannung hochspringen. Innerhalb von ein paar Sekunden bis maximal einer Minute sind über die üblichen Spannungsregelkonzepte (Laststufenschalter am Leistungstrafo, Q(U)-Regelung der Erzeugungsanlagen) diese Überspannungen abgebaut, aber in dieser Zeit braucht man ein gewisses Maß an Robustheit.
Und das regelmäßige Inanspruchnehmen einer Sicherungseinrichtung (Überspannungsschutz) kann doch Geräten wie Wechselrichtern oder dem ENS beim BHKW auch nicht gut tun.
Einem Wechselrichter ist das mehr oder weniger egal, der schaltet mit einer Schaltfrequenz von mehreren Kilohertz. Das BHKW sollte natürlich nicht so häufig takten, aber wenn je nach Wetterlage sowieso 1-2 Zyklen pro Tag gefahren wird, dann geht es nicht darum, diesen Wert zu verdreifachen, sondern einfach die An- und Aussignale etwas nach früher oder später zu verschieben.
Davon ab ist das gleichzeitige Abschalten zahlreicher Erzeuger in einem Netz beim Erreichen eines bestimmten Trigger-Wertes doch auch nicht wünschenswert. Man müsste dann eher v.a. die PV-Wechselrichter (auch im Bestand) mit einer Elektronik ausrüsten, die beim Überschreiten bestimmter Spannungs- oder Frequenzwerte die Leistung allmählich runterfährt.
Das stimmt bei der Frequenz (vgl. 50,2 Hz Problem), die ja mehr oder weniger überall gleich ist in derselben Synchronzone, aber die Spannung ist vorne am Trafo, hinten am Strang und in der Mitte aufgrund der Lastflüsse auf der Leitung und dem damit verbundenen Spannungsabfall unterschiedlich. Kein Grund zur Beunruhigung. In Österreich gibt's die P(U)-Regelung schon (TOR Erzeuger, Seite 31: Spannungsgeführte Wirkleistungsabregelung), aber gemäß dem NSA-Prinzip Nutzen-statt-Abregeln wäre es besser, zuerstmal disponible Verbraucher zu einem höherem Leistungsbezug zu motivieren, bevor man die Erzeuger abregelt.
Die Netzstabilisierung über Verbrauchssenken lässt sich m.E. im Bereich der Privathaushalte nur über E-Autos erreichen. Wärmepumpen sind dafür gerade in den Sommermonaten mit hoher PV-Leistung mangels Wärmebedarf kaum geeignet.
Es stimmt, das Wärmepumpen eher im Winter in Betrieb sind, aber es gibt ja Wärmepumpen, die auch als ,Klimaanlagen laufen. Weiterhin kennt man in der Übergangszeit Tage mit blauem Himmel und kalten Außentemperaturen, die auch hohe PV-Spitzen erzeugen, wenn auch nicht so lang bis zum Sonnenuntergang. Dann sollte man nehmen, was man kriegen kann. Auch gibt es das Argument, dass die E-Autos während der Arbeitszeiten aus dem Wohngebiet verschwinden und ins Gewerbegebiet fahren. Das stimmt, aber es sind halt nicht alle. Ein paar bleiben auch da und auch im Gewerbebetrieb können sie, wenn beim Arbeitgeber geladen werden darf, das dortige Netz stützen. Als Ultima Ratio kann immer noch abgeregelt werden, aber das sollte eher nur noch selten geschehen.
Gruß,
Gunnar